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Zeitenwende: Kommunale Planungshoheit auf dem Rückzug

Die Energiewende nimmt in ungeahntem Maße Tempo auf. Was der steigende Meeresspiegel, Überschwemmungen und Dürre nicht geschafft haben, hat der völkerrechtswidrige Angriffskrieg in der Ukraine nun vollbracht: steigende Energiepreise, Gas-Alarmstufen, regulierte Wohnraumtemperaturen, eine galoppierende Inflation treffen den Bürger direkt und an einer empfindlichen Stelle.  Die Bundespolitik hat daraufhin in schneller Folge Gesetzespakete geschnürt, die Anfang Juni im Bundestag auch den Segen der demokratischen Opposition bekommen haben und vom Bundesrat ohne den Vermittlungsausschuss anzurufen, durchgewunken worden sind.  Die vorgesehenen Änderungen sind vielfältig und komplex – hier soll nur auf eine massive Wirkung hingewiesen werden: die Entmachtung der Kommunen bei der räumlichen Steuerung der Windenergienutzung.

Bei dem polarisierenden Thema „Windenergie“ haben die Kommunen von Anbeginn an (1997) über den § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB („Darstellung im FNP an anderer Stelle“) ein erhebliches Mitspracherecht, da durch Darstellung von Konzentrationszonen der übrige Bereich des Gemeindegebietes von Windenergieanlagen freigehalten werden konnte. Dem anfänglichen Missbrauch dieses Instrumentes als reine Verhinderungsplanung hat die Rechtsprechung, ausgehend von einem BVerwG-Urteil von 2002 („substanziell Raum schaffen, keine verkappte Verhinderungsplanung durch die Kommunen“ und ungezählten Folgeurteilen besonders durch das OVG NRW einen Riegel vorgeschoben. Dennoch blieb der politische Einfluss immer noch bestehen, so dass es nicht wirklich flott vorangegangen ist mit der Umstellung auf erneuerbare Energien.

In der aktuellen neuen Notsituation (man kann von Notstandsgesetzen sprechen) hat der Bundesgesetzgeber, aber auch die neue Regierungskoalition in NRW (siehe deren „Zukunftsvertrag“) wohl erkannt, dass die große Aufgabe der zeitnahen Umstellung unserer Energieversorgung nicht durch das Kleinklein der Kommunalpolitik ausgebremst werden darf. Die Folge steht in § 249 Abs. 1 BauGB, geändert durch das „Wind-an-Land“-Artikelgesetz. Dort heißt es lapidar, dass die Regelungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für die Windenergie nicht mehr gelten. Es gibt (in § 249e BauGB) natürlich Übergangsfristen – aber zum 31.12.2026 verlieren alle bisherigen kommunalen Steuerungsplanungen ihre Wirksamkeit.  Die Aufgabe der Flächensteuerung wurde auf die regionalen Raumordnungsbehörden übertragen. Bis die gesetzten Ziele zum Ausbau der Windenergienutzung – der Flächenbeitragswert für NRW beträgt 1,8% der Landesfläche – sind die Kommunen außen vor.

Ist diese Entmachtung der Kommunen in einem Bereich, der vor Ort die Ratsmitglieder über 3 Jahrzehnte intensiv beschäftigt hat und der die Bevölkerung gespalten hat wie kaum ein anderes Thema gerechtfertigt? Ja. Mittlerweile ist der Aufbau einer regenerativen Energieversorgung, zu der Windkraft nun einmal den größten Beitrag lastet, eine Aufgabe der nationalen Versorgungssicherheit. Die gerade im ländlichen Raum hin und wieder anzutreffende Mentalität eines berühmten gallischen Dorfes hat mit Planungshoheit nichts zu tun. Die Kommunen hatten seit 1997 Zeit, der Windenergie substanziell Raum zu verschaffen – es ist bis auf wenige Ausnahmen ausgewiesener „Energiestädte“ nicht gelungen. Hier sind jetzt die Regionalplaner am Zug.

Ein Beitrag von Michael Ahn zum Deutschen Architektenblatt DAB, Ausgabe NRW, 09/2022

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