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Gesellschaftlicher Zusammenhalt im Quartier – zur Organisation strategischer Partnerschaften

Grundgedanke 1: Regionaler Aktionsraum und lokale Identität

Die Stadt. Schon mit der griechischen Polis war im Altertum die Stadt nicht nur das Bild für einen urbanen Lebensraum, sondern auch für ein gesellschaftliches und politisches Organisationskonzept.

Auch im Mittelalter war und bis heute ist die Stadt die wesentliche Ebene, auf welcher `alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln´ sind. (Art. 28 des Grundgesetzes)

Der gesellschaftliche Aktionsradius des Arbeitens, des Sich-Versorgens, der Freizeitgestaltung geht mittlerweile aber über die Grenze der einzelnen Kommune hinaus – der regionale Umgriff mit unterschiedlicher Abgrenzung gibt den räumlichen Orientierungsrahmen ab.
Die Vielfalt der individuellen Lebenswelten verwischt dabei den gemeinsamen Bezugspunkt `Stadt´. Als neue Orientierung liefert das Stadt-Quartier hierfür den adäquaten Maßstab.

Grundgedanke 2: Veränderung gesellschaftlicher Strukturen

„Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.“ (Art. 16 Abschnitt 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)

Familie ist heute vielfältiger als noch vor zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren. Immer mehr Kinder werden außerhalb der Ehe geboren, die Zahl der Patchworkfamilien steigt und mittlerweile ist jede fünfte Familie alleinerziehend. Mehr als ein Viertel aller Kinder haben einen Migrationshintergrund.

Und immer weniger Kinder verbringen aufgrund steigender Lebenserwartung eine längere gemeinsame Lebenszeit mit ihren Eltern und Großeltern.

Beziehungsstrukturen zwischen den Generationen verändern sich aber nicht nur rein quantitativ, sondern auch qualitativ, die geografische Distanz nimmt zu. Während in früheren Zeiten die Familie vorwiegend eine gegenseitige Unterstützungsfunktion erfüllte, sind (gerade ältere) Familienmitglieder heute vermehrt auf gesellschaftliche solidarische Hilfe angewiesen.

Ergänzend zum Generationenvertrag als ökonomischen `Solidar-Versprechen zwischen zwei gesellschaftlichen Generationen´ bedarf es Formen der alltäglichen Unterstützung (Freundschaft, Unterhaltung, Einkauf, Beschäftigung, Dienste). Nachbarschaften ergänzen familiale Strukturen.

Grundgedanke 3: Individualisierung und gesellschaftliche Solidarität

Individualisierung, Pluralisierung und Digitalisierung sind Bestimmungsgrößen der heutigen (Stadt-)Gesellschaft.
Wohlstandssteigerung, Verkürzung der Arbeitszeit sowie Steigerung des Bildungsniveaus führen zu einer Individualisierung der Gesellschaftsmitglieder.

Gleichzeitig hat die Pluralisierung der Lebensformen zugenommen. Gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, Fernbeziehungen und gewollt kinderlose Ehen sind ebenso zu beobachten wie eine beständige Verringerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße.
Und die Digitalisierung; sie betrifft letztlich alle Lebensbereiche; Freundschaften und private Kommunikation laufen mittlerweile ebenso digital ab wie Einkäufe von Lebensmitteln, Technik oder Kleidung.

Trotz oder wegen einer wachsenden Vielfalt und Differenziertheit bedarf es einer gesellschaftlichen Solidarität.

Grundgedanke 4: Verwaltungsarbeit und Zuständigkeitsprinzip

Auch kommunale Verwaltungen sehen sich vermehrt differenzierten und komplexeren Aufgabenstellungen gegenüber.
Die Gliederung in Sach- und Aufgabenbereiche und ihre organisatorische Fassung in Ämtern, Dezernaten, Referaten oder Fachbereichen ist langjährig eingespielt und erprobt.

Das Prinzip der Zuständigkeit hat zu Spezialisierungen geführt, die es erlauben, auch `komplizierte Einzelfragen´ zu behandeln.

Grundgedanke 5: Entwicklung einer Kultur der Zusammenarbeit

Die Aufbauorganisation kommunaler Verwaltungen als Linien-/Leitungssystem bedarf einer Ergänzung, um die heterogenen und in vielfältigen Wechselwirkungen stehenden Aufgaben bewältigen zu können.

Die Einrichtung von Stabsstellen stellt eine Möglichkeit dar, um integrierte Lösungsansätze zu entwickeln – aber nicht die einzige.
Die eigentliche Herausforderung besteht darin, Kooperationsformen innerhalb der Verwaltung zu entwickeln, welche die Vorzüge der Spezialisierung in den Fach-ressorts erhält, aber gleichzeitig durch `Grenzüberschreitungen´ die kontraproduktiven Wechselwirkungen minimiert und schwerfällige Abstimmungsprozesse vereinfacht.

Fazit: Integrierte Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit

Der Ansatz einer integrierten Stadtentwicklung ist unverzichtbar.

Die (bisherigen) sektoralen Konzepte und Strategien sind immer weniger geeignet, den aktuellen Herausforderungen zu begegnen und die Auswirkungen, die beispielsweise im Rahmen des demografischen Wandels, der Flexibilisierung der Arbeitswelt oder der Ausdifferenzierung der Lebensstile entstehen, zu bewältigen.

Stadtregierung und Stadtgesellschaft erarbeiten im Diskurs quartiersbezogene Entwicklungskonzepte; ein “systematisches Quartiersmanagement” trägt dazu bei, solche Prozesse zu verstetigen.

oder anders:

Die Gestaltung des Quartiers, der Ortschaft oder des Stadtviertels, also des lokalen Gemeinwesens in Nachbarschaften erlangt immer mehr Bedeutung.

Das Zusammenwirken integrierter Stadt(teil-)Entwicklungspolitik, Quartiersmanagement und der Gemeinwesenarbeit in einer ganzheitlichen Betrachtung und in partnerschaftlichem Handeln kann dies ermöglichen.

Dieser Text von Michael Isselmann (1999 – 2019 Leiter des Stadtplanungsamtes Bonn und Vorsitzender der Fachkommission Stadtplanung und Städtebau beim Deutschen Städtetag) ist in gekürzter Fassung als Beitrag im Deutschen Architektenblatt erschienen, Ausgabe NRW 02/2020.

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